casa tatu - mbyá guarani indigenous cultural center
"Einfach einfach bauen in Gemeinschaft"
Entwurf und Planung des "Casa Tatu", Kulturzentrum der indigenen Volksgruppe Mbyá Guaraní in Brasilien entstand 2005 bei meinem Studienaufenthalt an der Architekturfakultät der UFRGS in Porto Alegre bei Prof. Julio Cruz. Gemeinsam mit brasilianischen Architekten, Anthropologen und den Bertoffenen selbst sollten wir Lösungsvorschläge entwickeln, wie die brasilianische Regierung auf die Wohnungsproblematik der "Ureinwohner" reagieren kann. Als Zielvorgabe sollten Bausätze für Fertighäuser entwickelt werden...
Die Mbyá leben auch heute noch in Familienverbänden verstreut über Paraguay, Nord-Argentinien, Uruguay und die südlichen Bundesstaaten Brasiliens. Ihre Wanderungen auf der Suche nach dem "Land ohne Übel" (A Terra sem Mal) sind in der spirituellen Tradition verankert. Die freie Migration ist jedoch durch Staatsgrenzen und Privatisierung stark eingeschränkt. Die Industrialisierte Landwirtschaft mit immer größeren Monokulturen (Gen-Soja für die Massentierhaltung und Biomasse für den Energiehunger der "westlichen" Welt) trifft mit ihren negativen Auswirkungen die naturverbundenen Kulturen vor Ort am stärksten. Endlose Eukalyptusplantagen ("Grüne Wüste") über-säuern nachhaltig wertvolle Böden und Grundwasser. Auch hier sollen die "nachwachsenden Rohstoffe" den Hunger der globalisierten Zellstoffindustrie decken: Papierberge und Klopapier für die wachstums-fanatische, überbürokratisierte Wegwerfgesellschaft. Die letzten Urwälder und fruchtbares Ackerland gehen uns täglich und sprichwörtlich am Ar... vorbei!
Was soll ich nun hier? Als Deutscher, Europäer,... als "Mittäter" bei all dem sinnlosen Tun? Wie vermessen ist es doch, als Architekt aus einer anderen Kultur diesen "Eingeborenen" helfen zu wollen! Mir wird nochmal bewusst, was ich schon auf unseren Reisen in Peru und Bolivien erkannte: Entwicklungshilfe muss bei uns in den Industrienationen beginnen! Eine unreflektierte Wachstumsideologie und Sozialdarwinismus haben sich zu Glaubenssätzen entwickelt, welche in ihrer selbstzerstörerischen Konsequenz alle Kulturen treffen und das Leben an sich bedrohen.
Das `Tatu` (Gürteltier) gilt bei den Guarani als heiliges Wesen - der Hüter der Erde.
Die Gespräche mit den Bewohnern der umliegenden Dörfer sind sehr inspierierend, fruchtbar und von tiefem gegenseitigem Verständnis geprägt. Die Mbyá lebten seit jahrtausenden in einer ausbalancierten Kreislaufwirtschaft. Eine permanente Kultur mit intensiv bewirtschafteten Kernzonen und als stockwerksbau genutzte Waldgärten im Randbereich. Mais, Kürbis und Bohnen wachsen traditionell mit hohem "Wirkungsgrad" auf kleinsten Flächen. Nach ca. vier Jahren zieht es die Familien weiter, auf der Reise werden immer wieder Rastplätze der Ahnen neu besetzt, genutzt und anschließend für einige Zeit der Natur überlassen.
Ich erfahre, dass auch die Jugendlichen an dieser Tradition festhalten und lieber selbst-gebaute Hütten aus Naturmaterial bewohnen als unangepasste Mauerwerks- und Betonbauten. Mehrere wichtige Funktion vereinen sich im Element der Feuerstelle im Innern des Hauses: Sowohl Sozialer Mittelpunkt beim Kochen, Essen und Mate-trinken als auch spiritueller Halt und Verankerung zwischen Himmel und Erde.
In einem partizipativen Prozess entwickeln wir gemeinsam das Konzept für ein angepasstes "Bausatz-Haus zum Selbst-Ausbau". Der Entwurf nimmt die traditionelle Formensprache der `Mbya-Guarani`- Bauweise auf und übersetzt Mythologie und Symbolik der indigenen Tradition in die Fertigungstechnik einer leichten Holzkonstruktion. Das `Tatu` (Gürteltier) gilt bei den Guarani als heiliges Wesen - der Hüter der Erde.
2006 wurde der Prototyp als Experimentalgebäude in der Guarani-Siedlung `Teko'a Anhetengua' (Lomba do Pinheiro, bei Porto Alegre - Viamaõ) realisiert. Durch die Koordination der Arbeiten vor Ort konnte ich eine Beteiligung der Dorfbewohner am Bauprozess erreichen. Somit wurde die Tradition des gemeinschaftlichen Bauens wieder aufgegriffen und weitergeführt. Die Identifikation mit dem eigenen Gebäude und das Selbstwertgefühl der Dorfbewohner konnte nachhaltig gestärkt werden.
Die Dacheindeckung mit Schilfgras (Capim Santa Fee) konnte ich aufgrund meiner Abreise nach Deutschland zum Jahreswechsel 2006/07 nicht mehr weiter begleiten....
2 Jahre Baustop
Mit dem Jahreswechsel kam auch ein Regierungswechsel der Bundesregierung Rio Grande do Sul. Ab Januar 2007 wurde dieses Projekt - ebenso wie viele andere Maßnahmen zur Verbesserung der Situation sozialer Minderheiten - nicht mehr weitergeführt. So stand das Gürteltier nach meiner Abreise, bis zum November 2009 `halbnackt` und `hintenrum` nur provisorisch mit einer Plastikplane bedeckt in der Mitte des Dorfes.
Die Mbyá-Guarani versammelten sich trotzdem regelmässig um die zeltrale Feuerstelle im `Bauch` des Casa Tatu, um Gäste zu empfangen oder um über ihre soziale Situation und die Probleme der Gemeinschaft zu diskutieren. Es scheint, als bliebe das Bauwerk ein Symbol für die Handlungen des "Weissen Mannes", der, mit den Worten des Guarani-Führers Jose Cirilo Morinico gesprochen "immer viel frägt aber nicht zuhört - der viel verspricht, es aber nicht einhält" (Zitat "Kasike" Jose Cirilo Morinico, 2006).
Es ist den unermüdlichen Aktivitäten von Prof. Julio Cuz der Architekturfakultät in Porto Alegre und zahlreichen Unterstützern zu verdanken, dass die Mbya-Guarani nun endlich, nach langem Warten das Casa Tatu im November 2009 seiner Bestimmung zuführen können: Ein Ort der Begegnung zwischen den Kulturen, ein Symbol für die naturverbundene Kultur und den nachhaltigen Lebensstil der Mbya-Guarani in Lateinamerika.
Die Internet-Präsentation der MBYÁ-GUARANI zeigt einen Film mit Bildern des Casa Tatu.
Zum Download als PDF gibt es eine Präsentation des Casa Tatu Projektes von Prof. Julio Cruz mit zahlreichen Fotos der Projektassistentin Juliana Tassinari Cruz aus Porto Alegre.
Auf der Homepage der "Universidade Federal do Rio Grande Do Sul" ist ein Bericht zum Kulturzentrum Casa Tatu der Mbya Guarani veröffentlicht (Sprache: brasilianisches Portugiesisch), ausserdem ein ausführlicher Projektbericht zum Wohnhaus-Projekt für Mbya-Guarani-Indianer von Prof. Julio Cruz als PDF-Download.